Missa Viva in Schwarzenberg

Unter dem Motto "Missa Viva" präsentierte der Günzburger Chor "camerata vocale" am Samstagabend in der Klosterkirche Schwarzenberg ein in mehrfacher Hinsicht bemerkenswertes Konzert mit geistlicher Musik. Geleitet von Jürgen Rettenmaier, vermittelt von dem Choristen und Scheinfelder Musiklehrer Stephan Wagner, vorgestellt von Pater Eberhard, sang das überwiegend jugendliche Ensemble, das bereits durch mehrere Ersteinspielungen aufgefallen ist, im Wechsel moderne A-cappella-Sätze und romantische Motetten für Solo-Sopran, Orgel und Chor. Leider beherbergte der akustisch beeindruckende Raum neben den rund zwei Dutzend Musikern nur geringfügig mehr Zuhörer, ein bedauerlicher Sachverhalt, bedenkt man die Raffinesse der Programmgestaltung, Anspruch und Ungewöhnlichkeit der gebotenen Literatur, das höchst professionelle Niveau der zumeist semi-professionellen Mitwirkenden, nicht zuletzt auch das überaus informative wie werbewirksame Programmheft. Während die modernen Werke sich bei aller Vielfalt meist durch ihre Verbundenheit mit einer polyphon-altmeisterlichen Vergangenheit auszeichnen, bewegt sich das romantische Repertoire zwischen Lied und Deklamation. Den Schwerpunkt bilden Gesänge mit ein, zwei oder drei solistischen Frauenstimmen aus Oratorien von Mendelssohn. Anmutigen Schönklang lassen Michaela Hauke und Susanne Steinle (Sopran) neben der jungen Altistin Alexandra Unverdorben vernehmen. Faurés berühmtes "Pie Jesu" hört man nicht immer so schlicht und vibratoarm, selbst wenn Thomas Hechinger seine dezente und akkurate Orgelbegleitung hier etwas kurzatmig phrasiert. Mit Donizettis klassizistischem "Ave Maria" lernen wir eine frische und unpathetische Alternative zu Schubert und vor allem Gounod kennen. Seinen eigentlichen Reiz gewinnt der Abend gewiss durch die Werke aus den letzten fünfzig Jahren. Präzision und Beweglichkeit auch bei höchster Komplexität sind für den Chor selbstverständlich, die dynamische Bandbreite verblüfft. Mit dem "Agnus Dei" Pendereckis stellt "camerata vocale" sich den Anforderungen einer Postmoderne, die aus gedämpften Mollregionen zu explosiven Clustern emporsteigt. Bei Henk Badings verbinden sich milde wie herbere Akkordschichtungen mit modernistischen Textbrechungen. Der längst zum Klassiker avancierte Frank Martin offenbart in seinem "Gloria" zwar nicht die modifizierte Zwölftönigkeit und die rhythmischen Ostinati seiner bekannteren Orchesterwerke, aber allenthalben spröd-expressive Klangwirkungen. Sehr anspruchsvoll erscheint auch ein "Credo" von Sandor Szokolay, bei dem differenzierte Harmonik, Dynamik und Rhythmik nebst wechselnden Tempi zu einer an alte Traditionen gemahnenden blockhaften Strukturierung beitragen. Gefälliger sind die Sätze, mit denen das Konzert beginnt und schließt. Am Klavier begleitet Stephan Wagner souverän das "Kyrie" des Amerikaners Steve Dobrogosz. Einfache tonale Figurationen voll prickelnder Rhythmik lassen Elemente des Pop, Minimalistisches wie Orientalismen aufblitzen; das zeitgenössische Werk irgendwo zwischen Orff und Kirchentag spricht an ohne banal zu sein. Benjamin Brittens Marienhymne von volkstümlicher Schlichtheit zeigt nicht den unverwechselbaren Personalstil des Engländers, wird aber aufgewertet durch die gelungenen Echowirkungen. Ein kleiner Teil der Choristen begibt sich auf die Orgelempore, die anderen bleiben am Altar. Problematischer erscheint ein ähnliches Experiment jedoch bei Mendelssohn. Die kleine Schar der Zuhörer applaudiert begeistert; als Zugabe wird Badings' "Sanctus" wiederholt. Wolfgang Zimmermann

aus "Fränkische landeszeitung, Kulturredakiton, 30.11.03, Wofgang Zimmermann


zum Seitenanfang





Experimentierfreude und Pflege der Tradition: die "camerata vocale" aus Günzburg

Chormusik möglichst interessant gestalten. Mit neuen Wegen ins nächste Jahrtausend. Mit guten Ideen ein zündendes Experiment starten! Keineswegs nur leere Worthülsen für die "camerata vocale" aus Günzburg. Präsent in der Barockmusik wie der Moderne, in Presse und Rundfunk wie im Internet sind Professionalität und hoher Anspruch für sie untrennbar miteinander verbunden. Wenn sie die Bühne betreten, feiert sie ein überwiegend jugendliches Publikum nicht nur aus persönlicher Sympathie. Innovative Programmgestaltung, inhaltlich in der Regel einer bestimmten Idee verpflichtet, ausgerichtet auf längst Vergessenes oder äußerst selten zu Hörendes, je nach Thematik verbunden mit anderen Künsten, ist für sie selbstverständlich. "Sie", das sind rund 30 überwiegend junge Sängerinnen und Sänger, die sich der Chormusik mit Haut und Haaren verschrieben haben. An acht bis zehn Wochenenden pro Jahr erarbeiten sie drei bis vier Konzertprojekte, um diese dann vornehmlich im bayerisch-schwäbischen Raum aufzuführen. Diese temporären Probengepflogen-heiten erlauben es auch, weiter entfernt Wohnenden die Teilnahme im Chor zu ermöglichen. Eine Aufnahmeprüfung gibt es nicht. Doch wer zu einem bestimmten Projekt zusagt, muß auch durchhalten. Seit der Gründung 1987 "funktioniert" diese Vorgehensweise, nicht zuletzt dank eines Chorleiters, den nicht nur die eigenen Sänger als "unser höchstes Gut" bezeichnen. Bereits mit sechzehn Jahren stand Jürgen Rettenmaier am Dirigentenpult. Als er nach dem Abitur Schulmusik studierte, konzentrierte er sich gezielt auf das Fach Dirigieren. Die Unterweisung im Fach Chorleitung unter der Anleitung des längjährigen Generalmusikdirektors am Staatstheater Darmstadt, Hans Drewanz, sowie Chorische Stimmbildung am Westminster-Choir-College in Princton, ermöglichten ihm umfassende, theoretisch fundierte und nicht minder praxisnahe Kenntnisse, hinterließen bei ihm Spuren, die seine Innovationsfreudigkeit, seine Lust am Experiment, sowie seine Bemühungen um die Wiederbelebung der in Archiven schlummernden Räritäten erklären lassen. So führte er beispielsweise die große C-Dur Messe von Ignaz Holzbauer beim internationalen Mozart-Kongress 1991 in Mannheim auf. Als die "camerata vocale" Günzburg gemeinsam mit Rettenmaiers 1991 gegründeter St.Thomas-Chorschule (Gymnasium Wettenhausen) drei Jahre darauf J. E. Eberlins "Missa a due chori sowie F.X. Richters "Kemptener Te Deum" der Öffentlichkeit vorstellten, meldete der Bayerische Rundfunk Interesse an. 1995 erschien die erste CD mit diesen beiden Werken. Die zweite CD nun mit Holzbauers Messe, neuerlich in Zusammenarbeit mit dem Bayerischen Rundfunk produziert, kommt Anfang Dezember auf den Markt. Doch dies ist noch längst nicht alles, was Rettenmaier mit seiner "camerata vocale" in der Vergangenheit erarbeitete. Mit der Messe für zwei vierstimmige Chöre von Frank Martin bereiste das Vocalensemble Holland. Auch Budapest, Pécs und mehrere Orte in Spanien wurden zu Stationen auf ihren Konzertreisen. Zu ihren Auftritten beim alljährlich stattfindenden Festival "Musikalischer Frühling im Schwäbischen Barockwinkel" bestimmte stets geistliche Chormusik ihr Programm. In Günzburg und Umgebung bereicherten sie mit auf den Jahreskreis ausgerichteten anspruchsvollen Chorwerken das Kulturleben. U- und E-Musik aus Amerika, Folklore aus aller Welt, sowie "Heiter und Besinnliches" lauteten die Themen, die in ihrer Umsetzung mit Phantasie und Lust am Spiel wie am Gesang auf große Resonanz stießen. Darüber hinaus gelten sie im Rahmen der jährlich stattfindenden Günzburger Kulturtage schon längst als Geheimtip. Sich selbst gerne als "cameratten" bezeichnend, ließ sich Siegfried Steiger, Leiter des experimentellen Theater Günzburg, zu einem "fulminanten Duett" inspirieren: "CameRatten und andere ExperimenTiere", so der Titel des Szenarios. Der Chor, zu "singenden Hominiden" mutiert, durchkreuzt die Chormusikgeschichte in Sachen "Tiersongs", während die "Wissenschftler" zu ergründen suchen, wie man die "CameRatten" zum Schweigen bringen könnte. Für die Beteiligten wie die Zuschauer ein außergewöhnliches Erlebnis, das die Sinne wie den Geist forderte. Nicht minder anspruchsvoll erweist sich der diesjährige Beitrag zu den Günzburger Kulturtagen. Dem einheitlichen Motto "Wohin Spaniens Spuren führen ..." verpflichtet, interpretieren sie Tanzmusik vom Barock bis zur Moderne sowie Folklore aus der Region in und um Spanien. Mit diesem Streifzug gelingt der "camerata vocale" neuerlich, was sie zu ihrem Programm erklärt haben: die Pflege der Tradition und die Freude am Experiment, umgesetzt und erlebt über das Medium interessante wie niveauvolle Chormusik.

aus "Lied und Chor" Heft 12/98, Christiane Franke


zum Seitenanfang





Eine wiederentdeckte "Hymnische Klassik"

Camerata vocale sang "Missa solemnis" in der Basilika

Dillingen (bc).

Eine prächtige Spätblüte des "Musikalischen Frühlings im Schwäbischen Barockwinkel" war am ersten Juli-Sonntag das glanzvolle Konzert der camerata vocale, die (mit der Johann-Christian-Bach-Akademie Köln) ein lange vergessenes kirchenmusikalisches Werk der "Mannheimer Schule" sowie drei selten gehörte "Geistliche Hymnen" Mozarts sang.

Chor wie Orchester waren bestens disponiert, die bezwingende Atmosphäre des Sakralraums der Basilika St. Peter tat ein übriges. Der ungewöhnliche Rang dieses Konzerts wurde durch den Live-Mitschnitt des Bayerischen Rundfunks unterstrichen: Dillingen durfte eine Welt-Erst-Einspielung erleben.
Stadtpfarrer Gottfried Fellner, der "als Hausherr" Mitwirkende wie Zuhörer willkommen hieß, erinnerte an das berühmte Wort Beethovens, daß "die Musik eine höhere Offenbarung ist als alle Weisheit und Philosophie".

Beeindruckendes Opus

Das Hauptwerk des Abends, die "Missa solemnis in C-Dur" des Barockkomponisten Ignaz Holzbauer (1711 - 1783), erwies sich als ein in mehrfacher Hinsicht beeindruckendes Opus des Mannheimer Zeitgenossen Mozarts: Die - zumal für die damalige Zeit - ungewöhnlich aufwendige Instrumentalbesetzung wußte das Kölner Ensemble dank seiner hohen Professionalität auf seine Weise zu nutzen: Die langen 74 Takte der Orchestereinleitung erklangen auf den exzellent gespielten alten Instrumenten in jenem satten Wohllaut, der dem Ohr so schmeichelt und ein samtweiches Klangbild zaubert.
Der gemischte Chor, der aus dem musischen St.-Thomas-Gymnasium der Wettenhausener Dominikanerinnen hervorgegangen ist, sang mit überzeugendem Ausdruck: Im kraftvollen Forte des Kyrie ebenso wie im Gloria. Aber auch in den dynamischen und dramatischen Effekten des Credo bestach vor allem die rhythmische Präzision. Beim abschließenden Agnus Dei wurde dies besonders deutlich: Eine intensive, auf hohem Niveau stehende Chorarbeit trug hier ihre Früchte: in bezug auf die Reinheit der Intonation und die klangliche Homogenität wie auf die dynamischen Schattierungen blieb kaum ein Wunsch offen.
Die Stimmen der knapp 40 Jugendlichen wurden aufs schönste ergänzt durch das hochrangige Solisten-Quartett mit der Sopranistin Monika Meier-Schmid, der Altistin Isolde Assenheimer, dem Tenor Berthold Schmid sowie dem Bassisten Thomas Pfeiffer. Daß man sich gegenseitig genügend gestalterischen Raum ließ, war ein weiterer Pluspunkt.

Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791) äußerst selten zu hörende "Geistliche Hymnen" (nach Chören aus der Schauspielmusik zu "Thamos, König von Ägypten") boten dem Gesamtensemble besonders wegen seines opernhaften Charakters nochmals Gelegenheit zu voller Entfaltung: Für den Chor mit dem eindringlichen Pathos des "Rex tremendae", für den Baß-Solisten im "Ne plinis" mit seinem lautmalerischen "fulgur"-Einsatz.

Langanhaltender Beifall

Dirigent Jürgen Rettenmeier, der sich als befeuernder "Voraus"-Dirigent bewährt hatte, konnte am Schluß dieses mit wertvollen musikalischen Raritäten besetzten Konzerts den verdienten, langanhaltenden Beifall der zahlreichen, vielfach jugendllichen Zuhörer entgegennehmen.

Dillinger Zeitung vom Donnerstag 9. Juli 1998


zum Seitenanfang





Nicht nur mit Pauken und Trompeten

Barockes von Johann Eberlin und Franz Xaver Richter auf einer "schwäbischen" CD

Beide gehörten Stätten an, die Nährboden waren für entscheidende und epochemachende musikalische Entwicklungen. Und beide sind dem schwäbischen Raum - wenn auch aus unterschiedlichen Gründen - verbunden: Eberlin und Richter.

Der gebürtige Jettinger Johann Ernst Eberlin (1702-1762) prägte dreißig Jahre lang nicht nur das Salzburger Musikleben, sondern übte auch einen gar nicht zu überschätzenden Einfluß auf Leopold und damit auf die Formung des Genies Wolfgang Amadeus Mozart aus. Franz Xaver Richter (1709-1789) hatte zwar am Mannheimer Kurfürstlichen Hof als Mitglied der berühmten "Mannheimer Schule", die als Begründerin der Klassik gilt, seine große Zeit; doch daß der Böhme wichtige Jahre beim Kemptener Fürstabt Anselm von Reichlin-Meldegg als Kapellmeister verbrachte, sollte betont werden.
So stellt eine neue CD, die beide Komponisten mit "Festlichen Barockmusiken" vereint, schon ein editorisch überzeugendes Projekt dar. Sie vereinigt dazu hochkarätige Instrumentalisten, mit zwei renommierten schwäbischen Chören. Unter der Leitung von Jürgen Rettenmaier gibt es mit der St.-Thomas-Chorschule Wettenhausen (also nahe Eberlins Geburtsort), der Camerata vocale Günzburg und der Johann-Christian-Bach-Akademie in Köln Eberlins Missa a due chori und Richters Kemptener Te Deum zu hören.
Über schwäbische Chronistenpflicht hinaus darf von einer CD-Einspielung berichtet werden, die sowohl von den Werken wie auch der Interpretation Aufmerksamkeit verdient. Beide Kompositionen, Messe und Te Deum, sind glanzvolle, mit Blechbläserpracht und Chordelikatessen angereicherte Musiken, die festlichen Prunk verströmen und doch meisterlich im Handwerklichen gearbeitet sind.
Von 58 Messen Eberlins hat die - hier aufgrund der Originalquelle aus dem österreichischen Stift Kremsmünster eingerichtete - Missa a due chori ihren besonderen Charakter im effektvoll geschichteten mehrchörigen Klang, der mit Echowirkungen und korrespondierenden Gruppen brilliert - eine Hommage an die "stereophone" venezianische Praxis. Wobei nicht das empfindungsreiche, von einer schwebenden Solovioline begleitete Benedictus des Solotenors als Beispiel der verinnerlichten Passagen vergessen sein sollte.
Hinter Händels berühmtem Dettinger Te Deum braucht sich das von Franz Xaver Richter nicht zu verstecken. Diese monumentale Festmusik, 1741 vom Kemptener Fürstabt zu einem nicht mehr feststellbaren Anlaß bestellt, massiert noch einmal allen barocken Glanz mit, im wahrsten Sinn, Pauken und Trompeten, überlegener Staffelung der Chöre, spricht auch eine Streichersprache voller Spannung und Eleganz. Besonders hier ist die federnde, klangvolle Substanz der Kölner Akademie zu preisen, die historische Spielpraxis mit musikantischem Schwung mischt.

Zwei glänzende Juwelen

Mit seinen transparent durchgeformten Chören und den ausgezeichneten Gesangssolisten Monika Meier-Schmid, Margrét Bóasdóttir, Martina Koppelstetter, Beate Echtler-Kaller, Bernhard Hirtreiter, Stephan Rügamer, Ulrich Wand und Thomas Günzler hat Dirigent Jürgen Rettenmaier zwei Barockjuwelen allerfeinst poliert.

Augsburger Allgemeine - Kultur, von Manfred Engelhardt

zum Seitenanfang